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Montag, 4. November 2013

nun gib a ruh







Nun lass mich unverstellt
Genießen dieser Stunde vollen Frieden!
Nun sind wir unser; von der frechen Welt
Geschieden.


Dienstag, 2. Juli 2013

Trümmerwiesen

Ich bin auf der Durchreise. Die meisten Felder sind schon zerstört vom Wind und Regen, der sich auf Deutschland niederschlug. Kaum kommt man aus Berlin hinaus.

Am Feldrand sammle ich die restlichen, noch nicht verwelkten Kornblumen auf. Der Raps ist noch grün und hart. Tief tauche ich ein, in ein Wirrwarr aus grünen Sprießlingen. Irgendwo, dort ganz verschwommen erkennen ich rote Tropfen. Mohn. Ich bin auf der Suche nach rotem Mohn, der schwer zu finden sind. Von weitem leuchten sie schon auf, einsam, vielleicht etwas deplatziert.
Ein Geburtstagsstrauß soll es werden. Ein Strauss voller Schlafmohn. Nur, dass wenn ich ihn hier nicht finde, meine Geburtstagsüberraschung fällt. Ich habe auf die beruhigende Wirkung der roten Blätter gehofft, die ich so hart versuch zu finden. Die Warnung hörte ich schon, dass der, der sie isst, zwar schlafen kann in der Nacht, aber wirr und irr eilt durch den Tag. Die Enttäuschung ist sowieso immer groß. Die Blätter fallen schnell und trüb gleich ab.

Dort blüht der schöne Schlaf, dem Träume folgen, so süß und schön, dass ich nie wieder aufwachen möcht. Mein Mohn fängt bereits an seinen Kopf zu senken und weint von Tag zu Tag mehr. Ich auch.

Also dann doch keine Mohnblumen. Also dann doch ein Kornblumenstrauss als Geburtstagsgruß.




Mittwoch, 12. Juni 2013

Eine Wanderung durch Florenz: Hannibal, Savonarola und andere Todesboten


Wenn der Vorspann beginnt und die Musik gleichmäßig in die ersten Töne der Aria der Goldbergvariation übergeht, bekomme ich immer Gänsehaut. Es ist eine langsame Einspielung, keine so hastige, wie sie Glenn Gould 1955 bei seinem 1. Versuch aufnahm. Nicht nur denke ich wenn ich die Goldbergvariationen höre an mein Elternhaus, sondern auch an Hannibal Lector und sofort an diese wahnsinnige Szene, in der Commisario Pazzi aufgeschlitzt über der Piazza della Signoria baumelt. 

Ich war sehr lange nicht mehr in Florenz gewesen. Das letzte Mal muss ungefähr vor zwölf Jahren gewesen sein, aber sogar meine Eltern konnten das irgendwie nicht mehr ganz rekonstruieren. War aber auch egal, hatte ich doch komischerweise kaum Erinnerungen. Das wiederum war wohl auch nicht so schlimm, gehört Florenz doch zu einer dieser Städte, die sich mit dem Lauf der Zeit kaum verändern. Uns so kam es, dass mein Vater mich zu meinem runden 25. Geburtstag zu einer Erinnerungstour einlud. Das bedeutete natürlich ein abermaliges Studium aller Kirchen und Fresken in Florenz und nun doch das Wagnis es mit den Schlangen der Uffizien aufzunehmen. Dort war ich wirklich noch nie gewesen (Kindheitserinnerung #1: unendliche Warteschlangen) und so ließ ich mich darauf ein. Nach dem Kampf: die Ernüchterung. Vor der „Geburt der Venus“ stehen schmachtende Teenagerinnen, die "Tondo Doni" wird von japanischen Touristengruppen umkreist, Leonardos Verkündigung ... naja, jedenfalls kommt kein schönes Erhabensheitsgefühl auf. Schade. Also raus. Vom Regen in die Traufe.

Auf der Stelle an der Savonarola gehängt wurde, stampfen achtlos die Touristen auf und ab. Ich habe die Schnauze voll vom Touristenspiel und verziehe mich auf die andere Seite des Arno. Hier geht es ruhiger zu und ein wenig Florentinischer.




Zur Entspannung tue ich das, was ich am Besten in Italien kann und womit ich mich gern stundenlang beschäftige: Spritz trinken. Wer behauptet guten Spritz in Berlin zu bekommen, der irrt! Nur hier in Italien schmeckt er so wie es sein soll: nicht zu süß und nicht zu bitter mit dem genau richtigen Gehalt an Sprudel.

Mein Lieblingsplatz, der Dreiecksplatz, liegt versteckt zwischen dem Palazzo Pitti und dem Arno. Klein, aber fein, denn umsäumt mit schönen Restaurants und dieser kleinen Bar an der Ecke, die meine Nachmittage mit erschwinglichem Spritz und gutem Weißwein versüßt.

„Wie lange bleibst du eigentlich?“
„Solange wie ich will.“
„Wirklich?“
„Nein.“
„Wohin geht es als nächstes?" 
„ ...“
„Kennst du die Geschichte dieses Platzes? Wahrscheinlich nicht...
1348 fanden Kinder hier eine im Sterben liegende Taube. Die Kinder glaubten, sie sei von einer Katze angefallen worden und versuchten sie zu retten. Die Taube starb jedoch. Sie hatte die Pest. Der Taube folgten 40 000 Florentiner in den Tod.“

Langsam begann diese Stadt mich zu beunruhigen. Hinter jeder Ecke schien eine tödliche Geschichte auf mich zu warten.

"Bitte noch ein Glas. Ich bleibe hier."




Dienstag, 11. Juni 2013

über die Dinge, die hier fehlen.



 # ein vernünftiger Ausblick



# nun ja, Essen eben



 # versteckte Leseecken



# schöne Hauseingänge



# ganz viele schöne Hauseingänge 



# Nachbarn mit Sinn für Dekoration



#Ruhe im Trubel


Donnerstag, 16. Mai 2013

Puppen - Haare



Seit ich wieder in Neukölln wohne, gehe ich wieder spazieren. Das hatte ich lange nicht gemacht, dachte ich doch, um unbekannte Strassen und Ecken in Berlin zu entdecken müsste ich nach Hohenschönhausen oder Hermsdorf fahren. Stattdessen war ich stundenlang durch Shanghai gewandert, durch Taibei, Hangzhou...

Ich biege die Richardstrasse ein und trete in die dörfliche Blase des alten Neuköllns ein. Hier fühle ich mich immer geborgen, auch wenn ich keine alte Rixdorferin bin und eigentlich auch noch nicht so lange hier wohnte. Aber der Moment, an dem ich den Einkaufswahnsinn mit seinen hässlichen Betonklötzen hinter mir lasse und in die leicht angegrauten Wandschluchten des alten Berlins eintauche, beruhigt mich. Ich laufe an dem Buchladen vorbei, der nichts außer biographische Romane verkauft, bleibe vor dem Schaufenster stehen und lerne neue Menschen kennen. Ich nicke den bekannten zu und stelle mich den neuen vor. Der Buchladenbesitzer sitzt im hinteren Bereich mit krummen Rücken über seinen Computer gebeugt und spielt Passiance. Ich nicke auch ihm zu, er schaut nicht auf, wir kennen uns ohnehin nicht. Ich setze meinen Spaziergang fort. Vorbei an den unzähligen geschlossenen Fensterläden des Erdgeschoß. Die, die immer dreckiger aussehen, als alle anderen. Die, die immer, wirklich immer, geschlossen sind. Die, mit den unbekannten Gesichtern dahinter. Wer sind diese Menschen, die dort in der Dunkelheit hausen?

Ich stehe vor dem Puppenladen. Ich hatte ihn schon neulich, als ich betrunken aus dem Sameheads gestolpert bin, entdeckt. Nun hatte er auf und ich ging hinein. Puppenperücken, Arme, Beine, hohle Köpfe ohne Augen umgeben mich. Als Kind hatte ich auch eine schöne, alte Puppe besessen. Sie hatte alle zwei Jahre, immer dann wenn auch ich meine Haare verändert hatte, ebenfalls eine neue Frisur bekommen – und in ihrem Fall hieß das eine neue Perücke. Deren Haar war zwar etwas rau und glänzte nicht wie bei einer Barbiepuppe, aber dafür waren sie echt. Dann gingen ich und meine Puppe Fritzi stolz mit unseren neuen Frisuren auf die Strasse und wir sonnten uns in unserem neuen Selbstbewusstsein.
Die Dame, die hinter dem Tresen steht trägt Adidas und ein Baseballkappe und trotzdem passt sie in den Laden. Umgeben ist sie von Körperteilen und alten Postkarten Berlins vor dem Krieg – eigentlich ist der ganze Laden im Kaiserreich stehen geblieben –  aber sie, nur sie, hatte sich ein paar neue Accessoires gegönnt. Ich erkundige mich nach den Preisen für neue Echthaarperücken. Eine rote, mit langen, unten leicht wellenden, Haaren fällt mir sofort ins Auge. Fünfundsiebzig Euro soll sie kosten. „Ich komme wieder und bringe meine Puppe mit. Ich kann das nicht allein entscheiden.“

Während ich langsam die Richardstrasse weiter nach unten gehe, frage ich mich, ob ich und H. vor einem Jahr das Richtige getan hatten. Dann würde ich jetzt nicht ausschließlich mit den Toten meiner Biographien kommunizieren und mir Gedanken über die Frisur meiner Puppe aus Kindestagen machen.
Ich werde meiner Puppe meine Haare spenden. 

Mittwoch, 10. April 2013

Schattenspiele







Wohin Weshalb


Nun werde ich überall mit dieser Frage konfrontiert: Wieso lebst du denn in China? Aus einer Spielerei wurden Monate, aus Monaten wurden mehr als 2 Jahren, die ich auf dem Festland verbracht habe. Für mich war es irgendwann eine Selbstverständlichkeit und ich hatte irgendwann keine Lust mehr mich in Deutschland (mal hier, mal dort mit der Hilfe von Floskeln) rechtfertigen zu müssen, also tat ich es nicht mehr. 

Der Kontrast zu den Festlandchinesen könnte nicht größer sein. Hier scheinen alle Eigenschaften, die mir in China schon gar nicht mehr auffallen, an die ich mich (glücklicherweise oder unglücklicherweise) gewöhnt zu scheinen habe, nur noch stärker hervorzutreten. 
So entspannt, so ruhig, so respektvoll (bloß nicht den Arm neben mir berühren) - ich traue mich nicht in der Ubahn zu telefonieren und wenn dann halte ich meine Hand schützend vor den Mund. 
Und natürlich sage ich offen meine Meinung über den Status Taiwans. Auch gerne bei der ersten Begegnung mit einem älteren Ehepaar, was so freundlich ist und mich durch die ganze Stadt Hualiens kutschiert. Was mich mit einer unfassbaren Selbstverständlichkeit in seinen Familienkreis aufnimmt, mich bekocht und von gleich zu gleich und ohne Vorurteile über Politik diskutiert. 

Ist Taiwan das bessere China? Ich möchte diese Frage nicht beantworten. 




Dienstag, 22. Januar 2013

Vom grauen Rauschen

Morgens setzt das Rauschen wieder ein. Durchbrochen von den nöligen Sirenen der Krankenwagen nimmt es seine unterschwellige Monotonie auf, deren Ton irgendwann nicht mehr wahrzunehmen ist, so tief ist er in dein Bewusstsein eingedrungen. "Diäääannaaoo, koongtiaaoo, Diäääannaaoo, koongtiaaoo..." - der Marktschreier, den ich bis in meinen 10.Stock hören kann, kündigt den Beginn des nächsten Arbeitstages an. Der erste Blick aus meinem Fenster und ich wünsche, heute würde er auch "Luuuffttreeiiiniiger" schreien, aber solch einen Luxus leisten sich bislang nur die Ausländer. Ich sehe kaum das Ende der Strasse, nur grauen Dunst. In Beijing wäre es das Nichts.

Das neue Jahr beginnt beunruhigenderweise mit einem Schwall von Verschleierungen.


Am 1. Januar schrieb der leitende Redakteur der Southern Weekly wie jedes Jahr seinen Neujahrsgruß, der mit einer Auflage von rund 1.6 Millionen seit über 29 Jahren begeistert gelesen wird und bekannt ist für seine kritischen Töne. Er schrieb über die Partei und ihre Beziehung zur Verfassung. Vielleicht äußerte er sich ein wenig zu kritisch über die -  milde ausgedrückt - überhebliche Beziehung der Partei zur Verfassung, denn der Text schien dem Chef der Propagandaabteilung Guangdongs, Tuo Zhen, nicht allzu sehr zu gefallen. Schon seit dem Beginn der Ausarbeitung der Neujahrsausgabe, war es immer wieder zu Einmischungen des Propagandabüros gekommen. Zuerst missfiel ihnen das Thema der Ausgabe. Dann wurde der Titel von "Chinas Traum - Der Traum vom Konstitutionalismus" (“中国梦,宪政梦) erst zu "Wir sind unserem Traum näher als zuvor" (我们比任何时候都更接近梦想) , dann in "Heimatland Traum" (家国梦) und schliesslich in der Nacht zum 1.Januar nochmals in  追梦 abgeändert, was ungefähr mit "Die Jagd nach dem Traum" zu übersetzen ist. In dieser Nacht wurde dann endgültig das Grußwort  - wohl vom stellvertretenden Propagandaminister - umgeschrieben. Das Wort "Konstitutionalismus", um das der Text ursprunglich kreiste, wurde nun völlig gestrichen. Und so kam es, dass aus dem gewohnt kritischen Neujahrsgruß, der Zuspruch auf die Verfassung hätte sein sollen, eine Lobpreisung der Partei wurde, die wohlbemerkt mit den dümmsten Fehlern übersät war.


Dann begannen die Proteste. Die Southern Weekly trat in den Streik, vor den Toren der Redaktion sammelten sich die Demonstranten. Es kam zu einer Menge von Solidaritätskundgebungen und die Kritik an der Medienpolitik der Partei wurde heftiger. In einem öffentlichen Brief forderten mehr als dreißig Journalisten die Resignation des Propagandachefs Guangdongs Tuo Zhen. Chinas bekanntester Blogger Han Han, dem um die 30 Millionen online folgen, veröffentlichte ebenso ein sehr eindeutiges Statement. Die beliebte Schauspielerin Yao Chen zitierte den russischen Schriftsteller Aleksandr Solzhenitsyn "One word of truth overweights the whole world". Sie wurde, wie viele andere später von der Polizei "zum Tee" eingeladen.

Schon am 4. Januar war die Website eines sehr einflussreichen und sehr liberalen Magazines, der Yanhuang Chunqiu lahmgelegt worden. Bis vor ein paar Tagen wurde der Besucher von einem Cartoon-Polizeimännchen empfangen. Wieder schien der Zensurabteilung der kritische Ton und die Forderung, die Partei möge sich doch bitte an die Konstitution halten, nicht zu gefallen.

Derweile sterben Schwäne in verpesteten Seen Hunans, in Shaanxi explodieren Rohre und hinterlassen mehr als 39 Tonnen giftige Chemikalien in den Flüssen und in Shanghai wird mehr als 30.000 Bewohnern das Wasser abgestellt, weil Industriechemikalien in einen Fluss gelaufen sind. In Guangdong fließen Hunderte von Tonnen Rohöl in die Flüsse und, ach ja, Mac Donalds und KFC wurden mit Hühnchenabfällen beliefert.


In China nichts Neues.

Sonntag, 13. Januar 2013

Bored to Death - Shenzhen


Was bleibt, sind die verschwommenen Kondenzstreifen, die sich in Richtung Hongkong verlieren.
Auf meinem Schoß ruhen warme Frühlingsrollen, die ich mir mechanisch in den Mund stopfe. Das  organische Etwas, was aus ihnen hinausquillt, versuche ich zu ignorieren. Stattdessen konzentriere ich mich auf die Muster im Himmel über Shenzhen.

Scarlett Johansson sitzt in irgendeinem amerikanischen Flughafen und während sie unentwegt irgendetwas in sich hineinschaufelt, vergisst sie sich und die Zeit über "The Heart is a Lonely Hunter". Schließlich ist das Buch beendet und ihr Flugzeug ohne sie abgeflogen. Und sie wird dieses Buch nie vergessen.
Ich bin nicht Scarlett und "The Heart is a Lonely Hunter" kann mich gerade nicht retten. Mir bleibt bloß, meinen Kondenzstreifen nachzutrauern und artig auf den Flug zu warten.

Neben mir klappern die Stricknadeln und zaubern irgendetwas Rosaleuchtendes mit Zopfmuster. Für das Kind, was mir gegenüber laut aufheult, wird es wohl nicht sein. Drei Klappse auf den Hintern und aus dem  Geheule wird Geschrei. Dann folgt ein kräftiger Schlag vom Vater auf den Hintern des kleinen Jungen, der nun glücklicherweise von seiner Mutter in ihre schützenden Arme geschlossen wird. Alle anderen Wartenden starren mit stumpfen Blicken auf ihre Smartphones. Mein Nachbar bohrt dabei ungeniert in seiner Nase und versucht mit aller Fingerfertigkeit, den Dreck, den diese Stadt in seinen Besuchern ablagert, aus seinen Nasenlöchern zu entfernen.

Ich habe in Shenzhen nichts anderes gesehen außer gestapelte Frachtkontainer und monotone Hochhäuser, die im Smog der Stadt verschwimmen. Mehr will ich auch nicht sehen.