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Samstag, 10. November 2012

Grillen und anderes Getier


Wenn man am späten Abend durch diese Straße in meiner Nachbarschaft spaziert, sind die Gassen, die tagsüber chaotisch geschäftig sind, erstaunlich ausgestorben. Hinter den verhängten Fensterscheiben sehe ich die Silhouetten der kochenden Familien. Hinter der Ecke steht ein kleiner Chaofan-Stand (gebratener Reis), hinter dem die wartende Köchin schon fast schlummert. Nur aus den verschlossenen und vergitterten Läden kommen Geräusche: aufdringliches Grillenzirpen. Es ist nachts und jeder ist nur auf eigene Verantwortung in seinem Bett. Und diese Grillen, die ich hier höre, gehören allem Anschein nach zu den Nachtschwärmern.
Es ist nämlich so, dass meine Gasse sich auf den Verkauf von Kleintieren spezialisiert hat - Kleintiere, die entweder zum Verzehr oder zur Haltung (oder eben beides) genutzt werden. So findet sich in diesen Läden eine sehr große Auswahl an Insekten, Kaninchen und Meerestieren. Fingergroße Grillen, die in kleinen runden Plastikboxen einen wahnsinnigen Krach veranstallten, piepsende weiße Mäuse, die nervös in überquellenden Kästen strampeln, dann Schildkröten, Kanienchen und andere Insektenarten, die in Schaukästen zu begutachten sind. Da gerade Krabbenzeit ist, gesellen sich die Krabbenverkäufer noch dazu, deren Krabben jedoch aufgrund der kalten Temperaturen dieses Jahr kleiner ausfallen (sehr zum Missfallen der Shanghaier).
Doch von diesem hektischen Durcheinander ist nachts nichts zu merken. Nur das unablässigeZirpen hinter der vergitterten Tür lässt erahnen, was sich dahinter verbirgt.

Doch nun zu den Grillen. In China werden sie bereits seit Jahrhunderten in kleinen Käfigen gehalten, die aus Bambus, Holz oder Kürbissen hergestellt werden. Sie sind ein beliebter Zeitvertreib vornehmlich für ältere Herren.
Zwar ist hierzulande Glücksspiel offiziell verboten, trotzdem gibt es genug Möglichkeiten sein Pensionsgeld zu verwetten - etwa bei Grillenkämpfen. Das kann den Kaufpreise für Grillen in unvorstellbare Höhe treiben. Mehrere Tausend Yuan, so erzählt mir der Verkäufer, werden auf dem Markt für eine besonders vielversprechende, männliche Grille bezahlt. Grillenweibchen dagegen werden für ein paar Yuan als Schnäppchen angeboten. Grillenkämpfe haben ihren Ursprung in der Tang Dynastie, wurden jedoch während der Kulturrevolution als "bürgerliche" Zeitverschwendung verboten. Nun finden hauptsächlich ältere, pensionierte Herren wieder zu der Grillenhaltung und kümmern sich rührend um ihre Haustiere. Vor den Wettkämpfen lassen sie die Grille strikte Diäten einhalten und sorgen dafür, dass die Grillenmännchen ein liebevolles Weibchen an ihrer Seite haben, damit sie sich am Wettkampftag gegen die Konkurrenz durchsetzen. Im Kampf stürzen sich die Grillen laut zirpend aufeinander, bis eine entweder tot, verstümmelt oder auf- (oder an-) gefressen ist. Manche Länder begeistern sich für blutiges Stierkampfgemetzel, andere für Grillenkämpfe.

Für mich, erklärt mir einer der Grillenverkäufer, sei dieser Sport jedoch nichts. Als Frau könne ich Grillenkämpfe ohnehin nicht verstehen. Ich solle mich doch besser nach einem anderen Haustier umschauen.
Ich werde mich nun aber erstmal nach dem nächsten Wettkampftreffen umhören.