Wenn der Vorspann beginnt und die
Musik gleichmäßig in die ersten
Töne der Aria der Goldbergvariation übergeht, bekomme ich immer Gänsehaut. Es
ist eine langsame Einspielung, keine so hastige, wie sie Glenn Gould 1955 bei
seinem 1. Versuch aufnahm. Nicht nur denke ich wenn ich die Goldbergvariationen
höre an mein Elternhaus, sondern auch an Hannibal Lector und sofort an diese
wahnsinnige Szene, in der Commisario Pazzi aufgeschlitzt über der Piazza della
Signoria baumelt.
Ich war sehr lange nicht mehr in
Florenz gewesen. Das letzte Mal muss ungefähr vor zwölf Jahren gewesen sein,
aber sogar meine Eltern konnten das irgendwie nicht mehr ganz rekonstruieren.
War aber auch egal, hatte ich doch komischerweise kaum Erinnerungen. Das
wiederum war wohl auch nicht so schlimm, gehört Florenz doch zu einer dieser
Städte, die sich mit dem Lauf der Zeit kaum verändern. Uns so kam es, dass
mein Vater mich zu meinem runden 25. Geburtstag zu einer Erinnerungstour
einlud. Das bedeutete natürlich ein abermaliges Studium aller Kirchen und
Fresken in Florenz und nun doch das Wagnis es mit den Schlangen der Uffizien
aufzunehmen. Dort war ich wirklich noch nie gewesen (Kindheitserinnerung #1:
unendliche Warteschlangen) und so ließ ich mich darauf ein. Nach dem Kampf: die
Ernüchterung. Vor der „Geburt der Venus“ stehen schmachtende Teenagerinnen, die "Tondo Doni" wird von japanischen Touristengruppen umkreist, Leonardos
Verkündigung ... naja, jedenfalls kommt kein schönes Erhabensheitsgefühl auf.
Schade. Also raus. Vom Regen in die Traufe.
Auf der Stelle an der Savonarola gehängt
wurde, stampfen achtlos die Touristen auf und ab. Ich habe die Schnauze voll
vom Touristenspiel und verziehe mich auf die andere Seite des Arno. Hier geht
es ruhiger zu und ein wenig Florentinischer.
Mein Lieblingsplatz, der
Dreiecksplatz, liegt versteckt zwischen dem Palazzo Pitti und dem Arno. Klein,
aber fein, denn umsäumt mit schönen Restaurants und dieser kleinen Bar an der
Ecke, die meine Nachmittage mit erschwinglichem Spritz und gutem Weißwein
versüßt.
„Wie lange bleibst du eigentlich?“
„Solange wie ich will.“
„Wirklich?“
„Nein.“
„Wohin geht es als nächstes?"
„ ...“
„Kennst du die Geschichte dieses
Platzes? Wahrscheinlich nicht...
1348 fanden Kinder hier eine im Sterben
liegende Taube. Die Kinder glaubten, sie sei von einer Katze angefallen worden
und versuchten sie zu retten. Die Taube starb jedoch. Sie hatte die Pest. Der
Taube folgten 40 000 Florentiner in den Tod.“
Langsam begann diese Stadt mich zu
beunruhigen. Hinter jeder Ecke schien eine tödliche Geschichte auf mich zu
warten.
"Bitte noch ein Glas. Ich bleibe hier."