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Sonntag, 2. Dezember 2012

In den Gassen von Honkou

Als ich das erste Mal nach Shanghai kam, übernachtete ich nicht in der französischen Konzession und nicht im Stadtzentrum, sondern im nördlichen Honkou. Es war ein wunderschön hergerichtetes und kleines Hostel, versteckt in kleinen chinesischen geprägten Alleen und ich war ganz hingerissen von der Mischung aus europäischer Architektur und chinesischem Strassenchaos. Ich liebte es durch die kleinen Gassen zu wandern und abends auf den Strassenmärkten Muscheln mit ganz viel Öl und ganz viel Knoblauch zu essen und auf meinem Plasikhöckerchen ein Bier nach dem anderen zu trinken. Die Gassen waren voll mit dampfenden Töpfen, gefüllt mit Meerestieren, Eingeweiden und Zungen, überall wurden Kleinigkeiten verkauft, überall wurde gegessen und getrunken und dazwischen schlängelten sich Autos und Motorräder. Der Bund und alle anderen Sehenswürdigkeiten konnten mich hier dagegen nie allzu sehr reizen.
Das Hostel, das ich auf Empfehlung von Bekannten buchte, wurde mein Ausgangspunkt in Shanghai. Ich freundete mich mit dem Besitzer an, er bewirkte, dass ich mir meiner Faszination und Zuneigung für China bewusst wurde, er gab mir meinen chinesischen Namen, ich erlebte wie er plötzlich Vater wurde. Als ich jedoch das erste Mal dort übernachtete, war ich völlig unwissend, in was für einer Umgebung ich nun schlafe.

Mehr als zwei Jahre war ich nun nicht mehr dort in Honkou. Ich wohne nun in der verwestlichen Französischen Konzession, in der es mehr westliche Bäckereien, als Baozi gibt und mehr Kaffee als Tee getrunken wird. Zur Erholung schwinge ich mich auf mein Rad und fahre trotz Regen in den Norden.

Shanghai -  die Stadt mit den höchsten Wolkentkratzern, mit den größten Hotels, das viele Geld, die schicksten Restaurants, die schnellsten Transportmittel. Ausländer können sich ganz wie zu Hause fühlen; es gibt Spekulationskekse und Baumkuchen, Hummus und Shakshuka, Baby und Kindermode, die man auch in Berlin-Mitte finden würde, Schwangerenjoga und französische Wein und Käsebars.

Als 1933 die ersten jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland in Shanghai aufschlugen, war die Stadt zwar schon international geprägt, aber doch noch ein ziemlich schreckliches Gewimmel. Das Klima war unerträglich schwül, die Wohnräume erbärmlich. Kaum einer wusste, dass man sein Gemüse und Obst vor dem Verzehr abkochen musste, es kam zu Krankheiten. Für viele jüdischen Flüchtlinge, die sich entschieden hatten, die lange Schiffahrt nach Shanghai auf sich zu nehmen, war es jedoch die letze und einzige Chance der Shoah zu entkommen. Die Konferenz von Evian hatte gezeigt, dass sich die Aufnahmebereitschaft der meisten Länder in Grenzen hielt. Keines der Länder lockerte seine Aufnahmebedingungen, niemand erhöhte die Aufnahmequote. So bliebt für viele Juden nur noch eine Möglichkeit: Shanghai, denn hier benötigte man für die Einreise kein Visum.

Shanghai war mit dem Vertrag von Nanjing 1842 zur Öffnung für den Handel mit ausländischen Mächten gezwungen worden. Nach und nach sicherten sich zunächst die Engländer, dann Franzosen, Amerikaner und schließlich die Japaner exterritoriale Rechte und stellen Teile Shanghais unter ihre jeweilge Jurisdiktion. Durch den verstärkten internationelen Handel wuchs die Einwohnerzahl und die wirtschaftliche Bedeutung erheblich. In den 1920er Jahren war Shanghai die schillernste und wirtschaftlich florierendste, aber gleichzeitg auch die berüchtigste Stadt Asiens.

In Folge der Machtergreifung Hitlers kamen zunächst rund 15 000 Juden, hauptsächlich aus Östereich und Deutschland, nach Shanghai, deren Strom sich nach der Reichsprogromnacht nochmals erheblich verstärkte. Es war weniger die jüdische Oberschicht, die auf den letzten Drücker nach Shanghai flüchtete, sondern die weniger betuchten Juden und da sich die meisten von ihnen das Leben in der internationelen Zone nicht leisten konnten, zog es sie in das ärmlich und chinesische Honkou.
Shanghai war jedoch 1937 in die Hände der Japaner gefallen. Die Situation verschärfte sich nun im Zuge des chinesich-japanischen Krieges erheblich. Lebensmittel, Wohnraum und Arbeit wurde noch knapper, was sich natürlich auch auf die Bereitschaft mehr Flüchtlinge aufzunehmen ausübte. Nach 1939 verschäften die Japaner die Einreisebestimmungen und am 18. Februar 1934 errichteten die Japaner schließlich  - auch auf Druck des Verbündeten Deutschlands - ein Ghetto in Honkou, wo die Lebensbedingungen noch härter waren. Man benötigte einen Passierschein um das Ghetto zu verlassen und die Japaner waren in China nicht gerade für ihre humanitäre Freundlichkeit bekannt. Hilfe kam nur von jüdischen Vereinen, die von von wohlhabenden lokalen Juden gegründet worden waren.

Michael Blumenthal war eines der Kinder, die eines der letzten Schiffsplätze Richtung Shanghai ergattern konnten und schließlich in der Zhongshan Lu, dem Zentrum des jüdischen Ghettos, wohnte. Nach der Befreiung des Ghettos am 3. September 1945 ging er mit seiner Familie wie viele andere nach Amerika. Nie wurde Shanghai als eine neue Heimat angesehen, sondern immer nur als Übergangslösung und so zogen die Shanghaier Juden nach Kriegsende in alle Richtungen weiter: nach Amerika, nach Australien oder nach Israel. Blumenthal machte Karriere, stieg auf bis zum Finanzminister unter President Carter und ist seit 1996 Direktor des Jüdische Museums in Berlin.
Wenige blieben in China, darunter der östereichische Urologe Jakob Rosenthal. Schon 1941 begleitete er als Militärarzt die kommunistische Armee. Als Mitglied der chinesischen Volksbefreiungsarmee kämpfte er gegen die Japaner und später im chinesischen Bürgerkrieg gegen die Guomindang.  Nach dem Sturz des Nazi-Regimes, entschied der österreichische "General Luo" in China zu bleiben und am Marsch der Roten Armee nach Beijing teilzunehmen. Er kehrte 1949 nach Wien zurück, dem Jahr in dem die Volksrepublik China gegründet wurde. 

All das wusste ich nicht, als ich zum ersten Mal durch das Honkouer Durcheinander wanderte und ich mich wunderte über die kleinen, doch viel zu europäisch angehauchten Häusern, den man jetzt noch ihre Vergangenheit ansieht. Am Ende der Zhongshan Lu fiel es mir dann wie Schuppen von den Augen. Ich stand vor der Ohel Moshe Synagoge, die jetzt als Museum für Jüdische Flüchtlinge in Shanghai dient.

Die Strasse sind in Honkou nun weitgehend aufgeräumt. Die wirren Essenstände sind in die Häuser getrieben worden, viele Strassemärkte verboten worden, mein Lieblingsbarbeque exisiert nicht mehr. Manche Dinge hier verändern sich in Windeseile, andere sind in einen schleichenden Prozess verwickelt.