What to find here?

Dienstag, 22. Januar 2013

Vom grauen Rauschen

Morgens setzt das Rauschen wieder ein. Durchbrochen von den nöligen Sirenen der Krankenwagen nimmt es seine unterschwellige Monotonie auf, deren Ton irgendwann nicht mehr wahrzunehmen ist, so tief ist er in dein Bewusstsein eingedrungen. "Diäääannaaoo, koongtiaaoo, Diäääannaaoo, koongtiaaoo..." - der Marktschreier, den ich bis in meinen 10.Stock hören kann, kündigt den Beginn des nächsten Arbeitstages an. Der erste Blick aus meinem Fenster und ich wünsche, heute würde er auch "Luuuffttreeiiiniiger" schreien, aber solch einen Luxus leisten sich bislang nur die Ausländer. Ich sehe kaum das Ende der Strasse, nur grauen Dunst. In Beijing wäre es das Nichts.

Das neue Jahr beginnt beunruhigenderweise mit einem Schwall von Verschleierungen.


Am 1. Januar schrieb der leitende Redakteur der Southern Weekly wie jedes Jahr seinen Neujahrsgruß, der mit einer Auflage von rund 1.6 Millionen seit über 29 Jahren begeistert gelesen wird und bekannt ist für seine kritischen Töne. Er schrieb über die Partei und ihre Beziehung zur Verfassung. Vielleicht äußerte er sich ein wenig zu kritisch über die -  milde ausgedrückt - überhebliche Beziehung der Partei zur Verfassung, denn der Text schien dem Chef der Propagandaabteilung Guangdongs, Tuo Zhen, nicht allzu sehr zu gefallen. Schon seit dem Beginn der Ausarbeitung der Neujahrsausgabe, war es immer wieder zu Einmischungen des Propagandabüros gekommen. Zuerst missfiel ihnen das Thema der Ausgabe. Dann wurde der Titel von "Chinas Traum - Der Traum vom Konstitutionalismus" (“中国梦,宪政梦) erst zu "Wir sind unserem Traum näher als zuvor" (我们比任何时候都更接近梦想) , dann in "Heimatland Traum" (家国梦) und schliesslich in der Nacht zum 1.Januar nochmals in  追梦 abgeändert, was ungefähr mit "Die Jagd nach dem Traum" zu übersetzen ist. In dieser Nacht wurde dann endgültig das Grußwort  - wohl vom stellvertretenden Propagandaminister - umgeschrieben. Das Wort "Konstitutionalismus", um das der Text ursprunglich kreiste, wurde nun völlig gestrichen. Und so kam es, dass aus dem gewohnt kritischen Neujahrsgruß, der Zuspruch auf die Verfassung hätte sein sollen, eine Lobpreisung der Partei wurde, die wohlbemerkt mit den dümmsten Fehlern übersät war.


Dann begannen die Proteste. Die Southern Weekly trat in den Streik, vor den Toren der Redaktion sammelten sich die Demonstranten. Es kam zu einer Menge von Solidaritätskundgebungen und die Kritik an der Medienpolitik der Partei wurde heftiger. In einem öffentlichen Brief forderten mehr als dreißig Journalisten die Resignation des Propagandachefs Guangdongs Tuo Zhen. Chinas bekanntester Blogger Han Han, dem um die 30 Millionen online folgen, veröffentlichte ebenso ein sehr eindeutiges Statement. Die beliebte Schauspielerin Yao Chen zitierte den russischen Schriftsteller Aleksandr Solzhenitsyn "One word of truth overweights the whole world". Sie wurde, wie viele andere später von der Polizei "zum Tee" eingeladen.

Schon am 4. Januar war die Website eines sehr einflussreichen und sehr liberalen Magazines, der Yanhuang Chunqiu lahmgelegt worden. Bis vor ein paar Tagen wurde der Besucher von einem Cartoon-Polizeimännchen empfangen. Wieder schien der Zensurabteilung der kritische Ton und die Forderung, die Partei möge sich doch bitte an die Konstitution halten, nicht zu gefallen.

Derweile sterben Schwäne in verpesteten Seen Hunans, in Shaanxi explodieren Rohre und hinterlassen mehr als 39 Tonnen giftige Chemikalien in den Flüssen und in Shanghai wird mehr als 30.000 Bewohnern das Wasser abgestellt, weil Industriechemikalien in einen Fluss gelaufen sind. In Guangdong fließen Hunderte von Tonnen Rohöl in die Flüsse und, ach ja, Mac Donalds und KFC wurden mit Hühnchenabfällen beliefert.


In China nichts Neues.